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2025

NICHT VERSETZT

(zum Ende der Intendanz Nicolas Stemann und Benjamin v. Blomberg in Zürich)

Schauspielhaus Zürich, Ödipus Tyrann , Foto: © Philip Frowein

Es gibt nur wenige Regisseure, mit denen ich so oft und kontinuierlich gearbeitet habe wie mit Nicolas Stemann (und seinem Dramaturgen Benjamin von Blomberg). Ich habe öfter über ihn geschrieben, nicht öfter, als ich mit ihm gearbeitet habe, aber auch oft. Meist über seine Zürcher Intendanz, ich möchte Zürich nicht schon wieder vorbeten, daß er ein Meister ist, meist ein Meister ist, und wenn so einer daran geht, seine Netze zu knüpfen, weil er den Menschen in dieser Stadt etwas zeigen möchte, das er festhalten und einbringen will in diesen Netzen, deren Maschen locker und großzügig geknüpft sind, großzügiger als es diese ganze Stadt zu sein scheint, dann fängt er sich vielleicht selbst darin. Oder das Netz reißt. Wobei ich dieses Zeigen nicht mit Meinen verbinden möchte, mit meinem Meinen schon, aber nicht mit dem Meinen der Verwaltungsräte des Schauspielhauses oder dem Meinen der Journalisten in dieser Stadt oder einem allgemeinen Meinen, mit dem sich ein Ich zu einem Wir versetzen läßt, meist in die letzte Bank, aber dort scheint es nicht besonders gut auf seine Vorgesetzten zu hören, so ist seine Versetzung schon gefährdet, bevor es sich noch setzen kann.

Aus dieser Versetzung ist ein Verweis, ein Klassenverweis entstanden, raus mit den Schuften aus unsrer Stadt! Wir haben ihnen schon genug zugebilligt, billig waren sie ja nicht gerade, also machen wir Schluß mit ihnen. Die Stadt Zürich hat also offenkundig ihr Wir — eine Stadt sind ja viele, die vieles wollen, aber genau wissen, was sie nicht wollen — gegenüber einer Theatergemeinschaft, die etwas wollte, das den Oberen offenkundig nicht gefallen hat, in Gegnerschaft gesetzt, bis gar nichts mehr möglich war. Es ist ja immer so, daß den Oberen was nicht gefällt, und dann handeln sie, meist treten sie nicht in einen Dialog mit den Schöpfern ein, die Oberen und ihre Obersten. Das haben sie nicht nötig, sie sind für was andres nötig, für was Wichtigeres. Und sie sind es, die bestimmen, was wichtig ist, daher schaffen sie alles weg, was ihnen nicht paßt, und nur sie selbst bleiben über. Alles andre nennen sie dann schlicht unwichtig. Zu teuer. Brauchen wir nicht. Das versteht jeder, der zu dieser Gemeinschaft der geweihten Eingeweihten gehört.

Was könnte das wohl sein, das so trocken daherkommt, das sich aus Angst vor irgendeinem Skeptizismus, einer Unsicherheit, die sich hier artikulieren möchte (wenn Kunst sich zu sicher ist, ist sie keine), mit einer Frage an die Menschen, die nicht gleich zu beantworten ist, in die Dogmatik des Meinens rettet (frei nach Heidegger), was könnte das sein, das dem Herumtasten, nichts andres ist Kunst, die Sicherheit des sich wohlig räkelnden Geldes entgegengesetzt hat? Geld: das ist, was es ist, wie Gott, und wer es hat, der hat es, wie Gott es auch vorgesehen hat. Das böse kleine Virus hat er uns auch geschickt, aber das hat uns alle besucht und ist mit viel Geld wieder abgehauen.

Raus mit den beiden Intendanten aus der Stadt!, wir brauchen einen neuen. Der Punkt also, wo alles zusammenläuft und sich entsetzt aneinanderklammert, weil sie gleich alle bankrott sein werden, ist, man glaubt es nicht, nein, nicht schon wieder, da kommt es schon wieder auf uns zu, verfehlt uns aber leider, wie immer: Das Geld. Zürich ist eine arme Stadt und will nicht noch ärmer werden wegen ein paar Kasperln. Der Konkurs des Hauses droht, ja, er ist vielleicht schon angekommen und packt gerade seine Argumente aus, die sich in einem schicken Argumente-Etui befinden, was haben wir da: einen als "woke" verschrieenen Spielplan, war da noch was? Nein, das glaube ich jetzt nicht, was sagt der Denker dazu? Er sagt: Die Darstellung ist, wenn anders sie das unwahre Wissen an seiner Wahrheit messen muß, genötigt, Unvereinbares zu vereinen. Oder so ähnlich. Das müßte ich erst aufklären, ich liefere es meinem Gefühl aus und der Trägheit meiner Gedankenlosigkeit. Ja, von mir aus. Andre denken ja auch nicht.

Das Geld ist schon mit dem Verwaltungsrat vereinigt, es war nie weg, okay, der hat es, und der gibt es jetzt nicht mehr her, jetzt vielleicht schon, aber bei den beiden Intendanten wollte man es nicht. Okay: Da wurden ausdrücklich, ich kann mich nicht so gut ausdrücken, aber das verstehe ich immerhin: zu geringe Ticketeinnahmen angeführt! Bitte! Der Konkurs des Hauses wurde schon an die Wand gemalt. Künstler sollen schon ein bißchen was riskieren, aber nicht den finanziellen Zusammenbruch ihrer eigenen Arbeitsstätte. Die sägen noch die Leitersprossen ab, auf denen sie stehen und in die Ferne schauen, was die Kunst derzeit, die Kunst ihrer Zeit, auf der Höhe ihrer Zeit, so macht. Das wollten sie auch machen. Und jetzt: schwarze statt rote Zahlen? Kann das sein? Wir haben lange was andres gehört. Wir haben gehört (und in der "nachtkritik" zitiert gelesen, vielen Dank), daß die Förderungen für diese avantgardistischen Arbeiten, die angeblich niemand sehen wollte (sonst hätten ja mehr Leute dafür bezahlt!), nicht nur nicht angehoben wurden, sondern daß sogar Einsparungen verlangt wurden, damit die kleinen Gewinne, die erzielt wurden, wieder brav verschwinden sollten. Die dazugehörigen Zahlen sind jederzeit zugänglich, aber nicht zudringlich. Man kann sie aber erfahren, wenn man nachschaut, und zwar im Tagblatt von der Generalversammlung des Theaters.

Arbeit soll einen Mehrwert erzeugen, über den sich der Unternehmer freut. Den Mehrwert erzeugen die Arbeiter, die Kunstarbeiter unter Stemann und von Blomberg, mit ihrer Arbeitskraft. Und den Produktionsmitteln, in diesem Fall ein Theater, eine Bühne, und was dort so erzeugt wird, das ist schon auch ein Wert, in den diese Arbeit, Rohstoffe für das bisserl Bühne hineinfließen, eine leere Fläche (so groß wie die paar Menschen, die drauf stehn und ein bisserl größer, falls gewünscht), die nackt bereitgestellt und sofort wieder verbaut wird für höhere Zwecke eines Theaterabends. Es ist unglaublich, die bedecken ihre Blößen, die sie sich selbst geben, sinnlos mit Geld! Mit unserem Geld! Doch, und das ist der Unterschied, wir stellen auch ohne Geld was dar, wir guten teuren Verwaltungsräte, wir brauchen keins, wir sind wir, mia san mia, sagen wir Alpenländler! Ich würde sagen: die unbezahlbare Lebenskraft von Menschen fließt in diese Arbeit hinein, und sie fließt wieder zurück, da die Kunst am Theater nichts Reales erzeugt, aber mithilfe von etwas Realem unser Leben, mit dem wir gekommen sind und wieder nach Hause gehen, bereichert. Oder ganz ausgeleert, dann haben wir immerhin Platz für was Neues. Na ja, ein bissel Geld hat es schon gekostet, aber bedenken Sie, was Sie dafür gekriegt haben!

Klar fragen wir da, was das alles kostet, was diese Fetzen von Kleidern, Kulissen, was diese Menschen selbst kosten, zum Selbstkostenpreis gibts die nicht, wenn sie sich da hinstellen und Furchen in den Bühnenacker ziehen. Egal. Was auch immer, es kostet zu viel. Es kommt ihnen vielleicht zu wenig zurück, es ist zu teuer, es riskiert, daß Menschen ihre Arbeitskraft bis zum vereinbarten Ende da hineinstecken dürfen, aber nicht länger, sozusagen als Saatgut, aber nicht öfter, es kann nur eine Ernte geben: Das alles wollen wir nicht, sagen sie, und mehr auch nicht! Was da wächst, gefällt uns nicht, das ist zu kostspielig, die geben zu viel aus! Wir gehen alle unter, wenn auch nicht gemeinsam, gemeinsam haben wir gar nichts, wir gehen baden, wir opfern unsere finanzielle Zukunft für diese Luftnummer, die die Zwei uns da bieten. So.

Und am Ende kommt eine Bilanz, fast egal, wie die ausfällt, die beiden sind wir los, die haben wir los, wir schneiden ihnen den Faden ab, an dem sie gehangen sind, und alles, woran sie sonst noch hängen wollten, und fragen später, wer die überhaupt waren und wenn, dann wie oft, wie oft wollen die denn noch wiederkommen? Einmal hat doch wirklich genügt. Wir entfernen sie und bilanzieren dann, das geht, denn die Bilanz haben wir ja schon vorher geliefert, und sie lautete: zu viel ausgegeben, zu wenig eingenommen. So eine Milchmädchenrechnung (armes Milchmädchen, immer kommst du dran bei sowas!, ich werde mal über dich ein Stück schreiben, da wirst du schauen!) kann jeder aufstellen, es ist eine bloß behauptete Rechnung, und behaupten kann man alles. Gerade Leute, die bei Geld keinen Spaß verstehen, machen sich, natürlich wenns um Künstler geht, um diese Nutzlosen, einen Spaß, das heißt, es ist nicht ernst, und beim Geld hört sich der Spaß sowieso auf. Was lese ich hier im Tagblatt, ach was, das können Sie jetzt überall nachlesen: Die Bilanz lautet, nicht viel, aber vom Herzen, die Bilanz lautet: Es bleibt in der letzten Spielzeit ein positiver Betrag (irgendwas muß ja positiv sein an dieser Spielzeit!) von plus 23.506 Franken. Im Plus. Das Plus ist ein Kreuz, so wird es dargestellt, also es bezeichnet, daß durch ein Menschen-Opfer wieder mal etwas gut ausgegangen ist. Ich habe das auch nur gelesen, wie Sie. Mehr möchte ich nicht mehr lesen, sonst erschrecke ich noch. Womöglich erscheint auch noch das natürliche Bewußtsein, daß mehr mehr ist und weniger weniger, dieses schlichte Maß hat jeder in sich, der am Monatsende auf seine Kontozahlen schaut, hat er sich jetzt verausgabt, oder darf er noch mal? Was darf er denn jetzt nicht mehr? Die beiden Intendanten dürfen nicht mehr, das steht längst fest. Der letzte Weg ihrer Darstellungen muß sich vorführen lassen, immer wieder, es muß der letzte bleiben, aufführen darf er nichts mehr, er soll sich nicht so aufführen deswegen, der Weg geht ja weiter, aber er führt dort nicht hin, wohin die wollen. Ich hoffe, er führt weiter, irgendwohin. Geprüft wird immer nachher und für zu leicht befunden. Das konnten die Damen und Herren vom Verwaltungsrat wohl nicht mehr abwarten. Sie haben zu leicht befunden und erst nachher geprüft, was sie nie gefunden haben. Es ist alles auseinandergerissen worden. Und wer räumt jetzt die beiden Menschentrümmer weg? Ja, sind die noch nicht weg? Den Weg können wir ihnen immerhin zeigen: Dort gehts raus! Baba und foi ned, wie man in meiner Heimatstadt Wien sagt.

Schauspielhaus Zürich, Sonne, los jetzt!, Foto: © Philip Frowein


Veröffentlicht am 14.02.2025 auf elfriedejelinek.com