Kleine Ursache für das Fehlen von Geld
Ich bin 78 Jahre alt und habe seit über eineinhalb Jahren keinen Cent meines selbstverdienten Geldes aufs Konto bekommen.
Der Herr ehemalige Finanzminister Deutschlands (Herr über mich ist er immer noch, über seine Zeit hinaus, ein zeitlos gültiger Mensch, das wär ich auch gern) hat für die Ausländer-Steuerbehörde ein digitales Portal eingerichtet (wohl an der äußersten Peripherie des Bundeszentralamts für Steuern) und hat es mit Leuten hübsch eingerichtet, die offenbar Rechner nicht bedienen können. Sie können vielleicht rechnen, hoffe ich jedenfalls, aber ihre Maschinen können es nicht (sofern sie überhaupt welche haben, vielleicht wird uns das nur vorgegaukelt, damit sie einen Sündenbock haben). Maschinen wollen dauernd bedient werden, aber nicht immer laufen irgendwelche Diener hinter ihnen her, um aufzuräumen.
In allen andren Ländern der EU genügt eine Ansässigkeitsbescheinigung, vielleicht ein Meldezettel allein, um eine Steuerbefreiung für Deutschland zu bekommen.
Das Doppelbesteuerungsabkommen garantiert mir die Versteuerung meiner Einkünfte an meinem Wohnort, und der ist Wien. Ich habe keinen anderen. Es werden Geheimniswerte ausgetauscht, deren Wert sich mir nicht erschließt, jedenfalls schließen sie nicht die Himmelstür und nicht die Tür zu den deutschen Steuerverantwortlichen auf. Meine Einkünfte der letzten eineinhalb Jahre liegen nicht auf Eis, aber bei meinem Verlag, der sie mir nicht auszahlen darf ohne die Steuerbefreiung für die Bundesrepublik, die keinem heiligen Bund entsprungen ist. Nehmet hin und esset, das ist mein Leib, sagt Jesus zu den Kannibalen, denen er sicher in seiner Güte etwas Gutes nachsagen würde. Er hat sich u.a. auch auf wunderbare Weise in eine Hostie verwandelt, die nach nichts schmeckt. Jesus ist platt wie ein Teigtaferl. Das müssen wir schlucken, wenn wir dazugehören wollen, ist ja nicht viel!, so wie wir die Bescheide eines Staats schlucken müssen, der nicht unserer ist, und der mir nicht einmal Bescheid sagt, wann ich mit meinem eigenen Geld rechnen kann, egal, ob ich überhaupt rechnen kann, ich weiß: Es gehört mir. Aber ich bekomme es nicht. So wie in Hitchcocks Meisterwerk "Frenzy" die Frau des Ermittlers ihre französischen Kochkunst-Emittenden an ihrem Mann ausprobieren will, von dem sie genau weiß, daß er lieber einen ordentlichen Braten essen würde. "Ich weiß, aber du bekommst ihn nicht!" sagt sie. Es wird uns nicht aufgetan, wenn wir klopfen an. Es wird uns weiters untersagt, uns zu erkundigen, das einfachste Recht des Staatsbürgers (ich bin zum Glück keine Deutsche, da sind wir, ich und meine Eltern nochmal davongekommen, wenn auch ziemlich knapp, so wie Österreich davongekommen ist, nur halt leider in Klein, aber oho! Ich bin sicher, deutsche Kolleginnen und Kollegen kriegen, derweil ich warte und warte, ihr Geld ohne gröbere Verrenkungen und Verstauchungen oder gar Brüche und Bittgänge, ich gönne es ihnen von Herzen), die Behörden sind den Bürgern Rechenschaft schuldig, oder?, oder vielleicht nicht.
Ja, aber wir Ausländer, was machen wir jetzt!, wir, die wir in unsren schwankenden Booten sitzen, wir dürfen uns nicht einmal erkundigen, was unser liebes Geld so macht, wenn es endlich befreit ist!, außer weniger zu werden, was wir jetzt schon wissen. Es kann ja nicht angelegt werden, wir dürfen nicht schreiben, nicht mailen, nicht faxen und schon gar nicht persönlich vorsprechen bei dieser Behörde, die uns nicht gehört, sondern einer germanischen Horde! Sie haben sich sogar die Mühe gemacht, ein eigenes Insert zusammenzubasteln, wo folgendes geschrieben steht, das uns keinen Weg weist, sondern uns, woher immer wir kommen, wegweist.
Der Entlastungsbereich des Referats St I B 5 ist aufgrund der hohen Arbeitsbelastung nicht länger telefonisch erreichbar. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass auf schriftliche Sachstandsanfragen ebenfalls nicht länger reagiert werden kann. Bei inhaltlichen Fragen zu vom BZSt versandten Anschreiben schicken Sie bitte eine E-Mail an Abzugsteuerentlastung@bzst.bund.de. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die entstandenen Rückstände abzuarbeiten und bitten die entstandenen Unannehmlichkeiten zu entschuldigen.
Wir in Wien können das mit einem einzigen Wort ausdrücken: schmecks! Den Seinen gibts der Herr im Schlaf? Der in der Versenkung verschwundene deutsche Porschefahrer spart vielleicht schon für seine nächste Hochzeit, zu der das Fernsehen jedoch nicht mehr kommen wird. Der Herr ist draußen.
Ich und tausende andre meiner KollegInnen leben, auch draußen, woanders, also von ihren Ersparnissen. Das müssen wir. Aber wenn wir keine haben, was machen wir dann, wenn wir das, was uns zusteht und auch zukommen müßte, nicht erhalten? Nehmet hin und esset!, sagt der Herr, den es nicht gibt, vielleicht gibt es diese Ausländer-Steuerbehörde ja auch nicht? Manchmal glaube ich, sie ist ein Phantom, ein Wolkenkuckucksheim, wo schon der Kuckuck draufklebt, weil Schulden gemacht wurden und nicht eingetrieben werden konnten. Wir sollen dieses dünne, ausgezehrte Stück Teig, das nie zuvor ein Leib war, zu uns nehmen, dann haben wir wenigstens einen Gott inhaliert. Das Irdische kriegen wir nicht. In Deutschland sollen wir so lange Dreck fressen, bis wir das kriegen, was wir zum Leben brauchen. Denn unser Geld bekommen wir nicht, meins schreit in seinem Bettchen beim Verlag, weil es zu mir kommen möchte, der Verlag würde es mir ja auch gerne geben, aber er darf nicht, ich kriege es also nicht. Ich erhalte mein Gehalt nicht. Seit eineinhalb Jahren und zwei Geheimniswerten und einer Einreichung und keinem Nachfragen, das sinnlos ist, Nachfragen werden uns nachgeschmissen, sie verschwinden, genau wie meine Einkünfte. Seit damals läuft eine Uhr, die vielleicht inzwischen stehengeblieben ist. Versteuern muß ich das natürlich, hier, in meiner lieben Heimat, weil man alles versteuern muß, das einem gutgeschrieben wurde, nicht was einem zufließt, wie die Donau dem Rhein davonfließt, keine Ahnung, was die Flüsse so machen. Ich gebe Gottes nicht, was Gottes ist, weil ihm sowieso nichts zusteht, ich gebe der Steuerbehörde meines Landes, was ihr zusteht. Ich gebe gern. Nur ich allein kriege nicht, was mir zusteht. Mein Geld ist da und auch wieder nicht da. Ich gebrauche den Vergleich öfter, aber ja, auch mein Geld ist ein Gespenst. Ich weiß, es ist da, aber für mich nicht. Mir darf es nicht einmal zuwinken unter seinen weißen Leichentüchern, denn vielleicht erlebe ja auch ich es nicht, daß ich es bekomme, das tote Kapital. Ich bin ja alt.
So einfach, so schlicht und so oft wie möglich gesagt: Ich bekomme mein selbstverdientes Geld gänzlich unverschuldet nicht. Ich muß mich nicht einmal verschulden, um leben zu können. Ich habe Reserven. Andre haben sie nicht. Aber es ist und bleibt eine Schweinerei und eine Willkür des deutschen Staats, uns so zu behandeln. Und Ungleichbehandlung innerhalb der EU, weil keinem andren Land sowas je eingefallen wäre.
"Dennoch wollen wir nicht so unverschämt sein, uns mit unseren Tugenden zu brüsten, da auch wir von den Ausländern gleiches erfahren können. (sagt Jean Bodin, ein Theoretiker des 16. Jhs zur Verteuerung aller Dinge), oh, die habe ich noch gar nicht eingerechnet! Geld, das nur im Bett liegt, wird nicht vermehrt, da muß man schon mehr tun unter den Leintüchern. Bodin sagt das und ähnliches (zitiert aus Wolfgang Pircher: Sozialmaschine Geld) über Plato und Lykurg, die beide den Handel mit Fremden verboten haben, weil sie fürchteten, ihre Bürger würden durch solchen Kontakt verdorben, das nur nebenbei, denn Handel hab ich mit den Deutschen keinen, sie handeln, ich muß nehmen, was ich nicht kriegen kann. Ich kann nicht nehmen, was ich eh nicht kriegen kann. Aber, aber!, weiter gehts mit Bodin, zur Aufrechtherhaltung der Moral:
Man soll den Ausländern, besonders unseren Gegnern, nicht umsonst unsere Güter geben, wogegen wir uns aber vorsehen (oder nicht, es nutzt sowieso nix, sagt der Setzerlehrling), und würden wir es dennoch tun, so würden wir eher ihre Freundschaft gewinnen. Oder ihnen gleich Waffen für ihre Kriege schenken, als mit ihnen selbst Krieg zu führen. Tja, man soll nicht nur nach Gewinn trachten (man gewinnt sowieso nie was in der Tombola des Lebens, aber man hat eine Chance. Gegen Deutschland hat man keine) und dabei Ehre und Tugend, und was sonst noch da ist und noch nicht auf dem Feld der Ehre liegt, vernachlässigen. Und "deswegen hat Gott in seiner wunderbaren Weisheit dagegen ein Mittel gefunden, indem er seine Gaben so aufgeteilt hat, daß kein Land der Welt so fruchtbar ist, daß es keinen Mangel aufweist." Deutschland: inzwischen tadellos, da gibts nichts, sie geben nichts! Kein Mangel, kein Tadel. Sie geben nicht einmal etwas mit kleinen Mängeln heraus. Gott hat das gemacht, um die Staaten in Freundschaft zu halten oder zu verhindern, daß sie sich gegenseitig die Schädel einschlagen, da sie "doch voneinander bedürfen". Und mit den Bedürfnissen nach meinem Geld soll ich wohl in eine Bedürfnisanstalt gehen? Aber selbst dort muß ich was hergeben und kriege nix dafür. Immerhin jedoch nichts für nichts, das ist ein reelles kleines Geschäft. Kann ich machen.

Veröffentlicht am 10.03.2025 auf elfriedejelinek.com