Kitschliesl
Zum Tod Leni Riefenstahls am 08.09.03
Jetzt ist die Kitschliesl Riefenstahl auch tot geworden. Kein Wunder, daß Stahl in diesem Namen ist und auch ganz unglaublich gut gewirkt hat. Der gibt schließlich nicht nach. Die Sachen von ihr haben eingeschlagen, da gibts nichts. Ein Wunder nur die Bewunderung, die ihr heute immer noch so oft entgegenschlägt. Aber bitte: Einsatz ist alles. Nicht der Einsatz, den man für etwas leistet, das man kauft (und den man zurückkriegt, wenn man die Dose, die einst eine war und wieder eine sein wird, wieder in den Container zurückwirft), sondern der Einsatz von Allem. Die Künstlerin, die sich selbst jeden Moment bewußt ist eine zu sein, wirft sich selbst, mitsamt ihrem Allen, ins Geschirr der Kunst, aber schau, das ist doch nur eine Schüssel, wo sie sich reinschmeißt! Die Kunst ist nichts als etwas, das zur Aufnahme berechtigt. Ein Tupperware-Gefäß, nicht einmal irden, nicht einmal eisern. Blech. Diese Frau hat mit vollem Einsatz gekunstet, jaja, das zeigt sie ja jede Sekunde vor, die diese Filme ablaufen und jede Sekunde, die sie schöne Menschen, übermenschlich schöne Menschen (die Nuba) oder schöne Tiere (die tropischen Fische!) eingefangen hat, damit wir alle uns klein fühlen sollen. Aber es ist kein Einsatz, wenn zuvor alles ordentlich gesichert und bereitgestellt wurde! Das werfe ich jetzt mal so diesem alten Gespenst ins Gesicht zurück. Der Einsatz, den sie zeigt, ist sozusagen vorbereitet. Die Menschenmassen am Parteitag, zur Olympiade etc. sind als Menschenvorrat vorbereitet worden, um eingekocht zu werden, um tatsächlich: Vorrat zu werden für die Schlachthöfe. Sie sind eine Menge, nichts sonst. Lodern hell auf, dürfen es, müssen es, Triumph des Willens und der Schönheit, um dann verbrannt zu werden, als Masse. Diese Sportler, diese Turnerinnen, diese Parteisoldaten, die sind wie die Berge, wo die Leni ja, nach Kniegelenksverlust auf den Brettern - die keineswegs die Welt bedeuten, inzwischen wissen auch wir Laien das - ursprünglich mit dem Ballettsport begonnen hatte. Und der Sport, egal welcher, mußte natürlich gleich auf den Film drauf. Die Menschen mußten sich, ernst dreinschauend, mit aufs Bild drängen, immer mehr, damit sie für die Ewigkeit gebannt waren. Es mußte ja immer die Ewigkeit sein. Ja, die Ewigkeit muß es schon sein, da gibts nichts! Kein Wunder, daß sie zu Film und Foto geschritten ist, die verehrte Künstlerin. Darunter tat sies nicht, unter der Ewigkeit, und darunter kommt keiner durch, in die gehen alle ein. Aber die wollte was hinterlassen, bevor sie unter diesem Vorhang durchgekrochen ist, nein, nicht gekrochen, natürlich aufrechten Gangs! Das Aufrechte war ihre Stärke, auch wenn sie permanent gelogen hat, die Künstlerin. Auch gelogen in dem, was sie gemacht hat.
Jaja, der Einsatz, das war kein Einsatz einer Person, die sich selbst einsetzt für etwas noch ganz Ungewisses (höchstens für ihr eigenes Ungewissen). Die Menschen hatte man ja, wie gesagt, schon vorbereitet, gewaschen, geschnitten, überbrüht, in den Schlafrock der Turnhose, des Trikots, der Uniform gesteckt (oder ganz ohne alles, da der Mensch nun wirklich nichts als: Material ist,über das andere Triumphieren dürfen, denn dieses Material setzt, gerade indem es zu Höchstleistungen und äußerster Disziplin fähig ist, dem Triumphieren keinen Widerstand mehr entgegen. Je vollkommener, je schöner das gezeigte Wesen, umso rascher wird es eingekauft und verbraucht, im wahrsten Sinn des Wortes: konsumiert werden, wie die Sprache der Werbung zeigt, und Leni Riefenstahl hat die Sprache der Werbung im Bild entscheidend mit entwickelt, ja zur Vollendung gebracht, was nicht sehr schwer war, denn das Fleisch der Menschen war schon zu ihrer Zeit, gerade zu ihrer Zeit!, halt leider nicht verbesserbar gewesen, also mußte man möglichst viel aus ihnen herausholen, unglaublich viel Leistung, Einsatz, Disziplin und Schönheit; also muß er das, was er ist, dieses Höchstfleisch, auf den Tisch des Hauses werfen, der Mensch, dessen Willen triumphiert, aber man sieht den Willen ja nicht, man sieht nur sein menschgewordenes Ergebnis: Marschieren, Hupfen, Marschieren, Springen, Marschieren, Schwimmen, Marschieren, Stabhochspringen, Marschieren etc.), Lichter gleiten ausgeklügelt über sie hinweg, die Massenbeute der Künstlerin, tja, sogar das Licht muß bei Leni fest arbeiten, um das Fleisch anständig auszuleuchten, der Führer soll ja sehen, was er kriegt, dieses herrliche Menschenfleisch, dieses großartige Menschenmaterial, einfach super, alles gehört ihm, die Leni schenkt dem Führer eine Stadt aus Menschen, nein, Menschen wie Städte, nein, nicht Städte und Menschen, sondern Menschenstädte, denn das Fleisch ist Stadt geworden, aber auf dem Land, wo wir bergsteigen und schifahren können, ist es natürlich gesünder zu atmen und zu arbeiten. Eigentlich wollen wir ja immer nur dorthin, aber zuerst müssen wir Raum frei machen dafür, damit überhaupt Land da ist, auch wenn wenigstens die Berge schon da sind, das heißt: Nachdem die Menschenstadt verbraucht ist, kann sie sich im Tiefland oder im Flachen oder im Seichten oder auf den schneebedeckten Gipfeln ein bißchen stürmen und erholen gehen, denn selbst zur Erholung muß man noch wandern oder klettern, gut so, so wie der liebe Führer ja auch schon den Juden eine Stadt geschenkt hat, die war allerdings aus minder-wertigem Fleisch. Diese Elendsgestalten dort, die können ja kaum einen Meter hoch hupfen. Was sollte man mit denen schon anfangen?
Ist es jetzt ein äußerster Einsatz von dieser Frau, wenn sie diese Menschengebirge bzw. Menschenstädte bereitstellt, diese Mengenmenschen (nicht: Menschenmengen!), die aber ein Menschengemenge keinesfalls sein dürfen, sondern immer das, was man heute: Ausnahmeerscheinungen nennt, aber halt in größter Zahl, zur Masse verschweißt, in keiner Tieflandkühltruhe erhalten und geborgen, denn sie sind zum alsbaldigen Verbrauch bestimmt. Die Menschen der Leni (ich sage immer: Leni, denn wer sich selbst erhöht, wird von mir erniedrigt werden) sind nicht zum Aufheben da, wir haben ja genug, wir verbrauchen sie, aber wir erhöhen sie vorher noch, und zwar immer insgesamt, als Erhöhungshaufen, als Menschenberg (als ob die männliche Projektion der jungfräulichen schneebedeckten Gipfel, die "erobert" werden müssen, der Alpinismus hat ja unter den Nazis eine Hochblüte oder wie man das nennt, erlebt, siehe Heinrich Harrer und die Eiger Nordwand, auf die er die Hakenkreuzflagge pflanzen wollte, na ja, das paßt doch, Menschen-Höchstleistung als Pflanze! Eingepflanzt. Gepflanzt, also: zum Besten angespornt im Sport, gepflanzt heißt in Österreich eigentlich: ätsch, angeführt!), damit wir das Gefühl gekriegt haben, sehr viel für unser Geld im Menschensupermarkt, ich meine im Supermenschenmarkt bekommen zu haben. Für uns gäbe keiner was, aber für diese Insgesamt-Mengenmenschen, da ist das Höchste grade hoch genug. Auch wenn Sie sich so einen schönen Stab kaufen, werden Sie nie so hoch springen können, den Stab aufpflanzen, reinbohren in die liebe Erde (nein, in der lieben Herde, als Mitläufer, da geht das nicht, verstecken gilt nicht, da muß man fest trainieren dafür!) und sich dann über die Latte schwingen, und die Leni hat darunter, im Absprungbereich, sogar ein Loch für den Kameramann graben lassen, damit der Hupf nach was Höherem ausschaut, meinetwegen nach einem höheren Wesen. Damit der Hupfer noch weiter von uns entfernt, uns entzogen ist und doch einer von uns, aber nur von uns! Der Masse entzogen, aber er gibt sich der Masse immerhin hin, so wie die deflorierten Berge im blauen Licht sich uns hingeben, indem sie sich uns niemals hingeben werden. Da müssen wir uns schon selbst hinlegen, z.B. auf dem Schlachtfeld, und da liegt es ja schon, es kommt wie gerufen, nichts wie rein mit uns! Da müssen auch die Zigeuner aus dem Lager im "Tiefland" sich hingeben, halb zog sie sie, halb sanken sie hin, alles Freiwillige, aber insgesamt sind das ja nicht viele, vergleicht man ihre Zahl mit allen andren Zahlen, die sind schnell verbrannt und weg. Abfall. Wo gehobelt wird... nein, wo besonders dicke Bretter gebohrt oder gesägt werden, fällt ein besonders dicker Abschnitt an. Der muß erst noch geschrieben werden. Aber das zahlt sich ja kaum aus, den zu behalten. Vergessen wirs also!
Die Menschen setzen sich als Vorrat für die Filme Lenis in Bewegung, als Masse, über die der Einzelne manchmal eben turmhoch hinausragt, nur um Teil der Masse zu bleiben, der sich der Masse öffnet. Die Masse ist weiblich (den hat Hitler ja oft betont, den "weiblichen" Charakter der Masse, während das Weib allein garnichts ist, außer Gebärerin oder Jungfrau, die sich dem Führer hingeben möchte), man kann in sie, als Masse, in die Masse hineinstoßen. Ihr Fleisch ist nachgiebig und weich, auch wenn es harte Helme und Stiefel und Sturmgewehre trägt. Wir haben die Menschen als Requisiten also für Leni bereitgestellt, der russische Film und der deutsche expressionistische Film und die moderne Werbung haben schon die Filmsprache fertig auf dem Herd stehen, gleich kocht sie, dann kommt eine Würze hinein und dann schütten wir sie drüber, Leni, gelt, das wird lecker, die Bereitgestellten müssen jetzt aber sich selbst als ihren Einsatz abliefern, das brauchen wir von ihnen, die müssen sich noch ausgeben bis zum Äußersten. Aber es genügt dann doch nicht, und es ist auch nicht einmal ein echter Einsatz, zu dem immer der ungewisse Ausgang gehört (leider hat der Jesse Owens auf der Olympiade gewonnen, hoppla, das kann schon mal vorkommen, leider sind Millionen gestorben bei ihrem Eigen-Ernteeinsatz, hoppla, was für ein Pech, na, das kann schon mal vorkommen), wir schauen gebannt, wir schauen, gebannt in unsere Kinosessel, und dort bleiben wir auch, indem wir die Menschenvorräte betrachten, die da ablaufen, vor uns ablaufen, auflaufen und ablaufen, marschieren und strammen, ich meine stramm marschieren. Nein, soviele würden wir alleine nie zusammenkriegen! Aber über all diesen Massenmenschen hängt das Verhängnis, daß das letzte Wagnis noch ausstehen könnte. Deswegen können die Massen sich noch nicht beruhigen, auch nicht,wenn Leni sie bereits auf Zelluloid "gebannt" hat. Sie können sich deshalb nicht beruhigen, weil ihr großer Einsatz, ihre riesige Einsatzfreude, die schon beim Anschauen dieser Filme auch im Untätigsten entsteht, noch im Ungewissen festhängt. Wir müssen sie dort erst losmachen. Sie haben sich irgendwie im Ungewissen verhakt, Moment, Leni hats gleich, nein, sie hat es doch nicht. Sie hat es, indem sie es eben: nicht hat. Die Menschen bleiben noch Faktoren der Ungewißheit und Unsicherheit, denn es ist ja kein echter Einsatz, wenn alles schon vorbereitet und gesichert ist (und vorbereitet und gesichert waren sie, wie gesagt, diese Menschenhügel, diese lebenden Menschenschleudern, die sich immer selber von sich losschleudern, ja, losschleudern, sich selbst, nicht ins Ungewisse, sondern über diesen Stab, mit dem Stab über den Stab), etwas kann dann zwar gelingen, wir sehen tolle Leistungen, jawohl, auch heute wieder tolle Leistungen in Sport, Militär und Paramilitär und Submilitär und in der Gipfelkunst sowieso, die liefern wir ja, die Gipfelkunst, die liefern wir selber, diese Gipfelkunstkuchen haben wir selbst gebacken und dann garniert, was wollte ich sagen, also, es kann gelingen, die Menschen können sich verwirklichen, aber nur insofern sich selbst verwirklichen, als sie den Zielen eines Führers dienen, denn der will sich ja auf ihre Kosten noch höher hinaus entwickeln. Wenn nur erst der blöde Film entwickelt wäre, dann könnten Sie es besser sehen, was der Führer für einen Triumph aus Willen gewollt hat, und solang die Menschen nur zuschauen, kann ihnen nichts geschehen. Bei diesen Filmen sollen sie aber zuschauen, um sich nicht mehr sicher zu fühlen, um sich, als Masse, gefährdet zu sehen. Überhaupt niemand kann sich mehr sicher fühlen. Sie müssen sich als Dispositionsmasse eines Führers sehen, der keinen von ihnen dispensiert, leider, er kann es nicht, so gern er es vielleicht täte, denn er ist ja ein höheres Wesen als wir, aber er kann es nicht, keiner entgeht ihm, denn er ist dem gleichen Schicksal unterworfen, und er muß gewinnen. Das unterscheidet ihn von uns. Er muß uns gewinnen, der Führer, uns als Masse, die gleichzeitig gewiß ist, aber im Ungewissen festhängt, weil sie noch nicht weiß, was über sie verhängt werden wird, aber etwas wird es sein, das steht fest, sonst müßte es diese Filme ja nicht geben. Es ist das Ungewisse über sie verhängt, indem die Menschenmassen bereitgestellt sind, für Krieg und Sport, und es hat keinen Sinn, einfach blind loszustürmen, loszurennen. Der Führer, der Sturm selbst, wird schon zum gegebenen Zeitpunkt sagen, wohin sie rennen sollen. Denn rennen sollen die Menschenmengen erst, wenn sichergestellt ist, daß sie auch gewinnen (naja, der Jesse Owens, das war ein kleiner Unfall, Leni hat ja behauptet, der Film hätte dem Führer nie gefallen, er hätte gewollt, daß sie etwas ganz andres dreht. Also das glaube ich nicht, aus den vorhergehenden und folgenden Gründen): Erst wenn man Rücksicht darauf genommen hat, daß man sicher gewinnen wird, darf man starten, losrennen, drauflos sprinten und springen, und mit den Truppen die Grenzen überschreiten. Und daß man gewinnen kann und muß, allein, indem man sich ins Geschirr einer Uniform (die besteht manchmal aus Turnhose und Leibchen, aber eine Uniform ist es trotzdem) wirft. Ja, zu diesem Einsatz gehört auch der Wille zum Sieg. Und es ist ein Triumph des Willens, wenn wir siegen, aber dieser Triumph ist schon in den Film mit eingeschlossen, der Anfang ist auch schon das Ende, beziehungsweise beide überkreuzen sich, überholen einander sogar, wer weiß, das Ende kommt dann vor dem Anfang, wurscht, der Triumph steckt schon im Willen, der aber ein Ziel haben muß, und die schöne, schlanke, tüchtige, burschikose Leni, die wie ein Mann ist, indem sie kein Mann ist, zeigt uns das alles, indem sie den Weg und das Ziel gleichzeitig zeigt, bis das Ziel vor dem Weg kommt, die Menschen alle wegkommen, aber nicht gut, und gezeigt werden sie auch nicht als Davonkommende, sondern immer als Eroberer der Lüfte, des Wassers, der Berge, des Bodens, der Luft. Die Menschen sollen erst mal lernen zu gewinnen. Und die Leni wird es ihnen schon beibringen. Sie bringt ihnen, den Massen, nicht bei, auch das Verlieren zu lernen, den Mut, zu einem Verlust zu stehen (was bleibt ihnen denn auch anderes übrig als zu ihren eigenen Verlusten zu stehen, der Krieg ist der Weg, und der Krieg ist das Ziel), und sie sollen auch nicht lernen, ihre Kräfte zu zügeln, höchstens wenn die Polen uns provozieren, wenn sie echt einen Angriff machen, diese Untermenschen, und wir übermenschlich große Menschen, die wir aber auch nur Menschen sind und manchmal lustig sind und manchmal fest trainieren müssen, bevor wir einmarschieren, wo wir nicht hingehören, wir schlagen sie dann zurück. Im Wasser, auf der Erde, in der Luft. Solang müssen wir uns noch zügeln, oder ein andrer zieht unsre Zügel an, zügeln, aber auf ein Ziel hin und dann los los los! Achtung, fertig, los! Umso mehr Achtung fertig, umso loser, ich meine umso entschlossener werden die Menschenmassen ins Ziel gebracht und damit ins Spiel und in den Sport. Sie richten sich schön grade aus, die Massen, sie werden lang und breit ausgerichtet, und dann muten sie sich entschlossen das Handeln zu. Es ist längst über sie verhandelt, das hat alles schon vorher stattgefunden. Jetzt schauen Sie Leni zu, wie die das macht! Der Staat ist schon da, die Handelnden aufzunehmen. Aber handeln müssen sie schon selber. Daß ihnen nichts andres übrigbleibt, das hat uns die Leni aber gezeigt! Achtung, fertig, los!
Veröffentlicht am 10.9.2003 auf elfriedejelinek.com