Einszweidreieinszweidrei
In der Einleitung zum Walzer "An der schönen blauen Donau" wird etwas sich selbst vorweggenommen, aber nicht weggenommen, es ist, als müßte man in etwas hineinfallen, das schon in etlichen Teilen vorausgeworfen wurde. Beim Walzer warten wir, daß wir uns in die Musik, ins Eigentliche, das da ganz sicher kommen wird, weil es kommen muß, hineinstürzen können, in unsere eigene Verfassung, die man eben nicht als Aufschub oder Vorlust bezeichnen kann, sondern als Erfüllung von Unerledigtem, das jetzt aber unbedingt erledigt werden muß, sonst ist etwas nicht vollständig, ein Etwas, das man jedoch schon vorher kennt, diese Musik ist unverkennbar!, deswegen ja dieses Hineinstürzen, aah, haben wirs doch gewußt!, das gleichzeitig noch aufgehalten wird, aber eben im Unerledigten, denn die Anzahlung, also das Erlegen der Melodie und das Erliegen der Menschen kommen ja gleich, immer jetzt noch nicht, aber immer: gleich! Dann: Generalpausen, Fermate, halten wir die noch aus?, nachdem und bevor, beides gleichzeitig, aber noch zeitig genug, dieses Hineinstürzen halt noch warten muß(te), bis es fast unerträglich wurde, wer wartet schon gern, noch dazu auf sowas!, bricht etwas über uns herein, das uns aber nicht brechen kann. Außerdem wurde etwas vom Ende (vor dem ein letztes Mal aufbrausenden Ende) in den paar Takten der Einleitung schon abgespielt (vorgespiegelt?, der Anfang ahnt das Ende schon, so wie auf dem Doppelporträt Hans Burgkmair und Frau (1529) das Ehepaar in den Spiegel schaut und zwei Totenköpfe im Spiegelbild auf die beiden zurückschauen), sozusagen vorausgespielt, denn leider endet auch dieser Walzer einmal, memento mori, das werdens ja no aushoiten, gnä Frau! kummt jo glei, oiso, nochmoi von vurn: Der Abgesang, der eine Ansage ist, hebt sein Haupt, fällt jedoch recht schnell ins Nichts, in die Stille der Generalpause hinein, man weiß aber, daß man gar nicht reingefallen ist, denn jetzt beginnt das Eigentliche, mtata mtata einszweidrei einszweidrei, alles bewegt sich geläufig in die Welt hinein, weiß aber doch, daß es ein Ende haben wird, daß es uns besorgt werden wird, da wir es noch nicht haben, denn der Walzertakt, selbst wenn die Einleitung auch im Dreivierteltakt geschrieben ist, und die Vorlust das Taktmaß dabei gleichzeitig zerdehnt wie komprimiert, schmeißt uns endlich wirklich rein, wer kann da schon widerstehen! Das Geheimnis des Walzers besteht ja in der Agogik, in dem Vor und Zurück des Tempos, im Zögern und Loslassen jeweils innerhalb von ein paar Takten.
Alles entspricht der Absicht, die Struktur ist gegeben, uns ist bei dieser Musik wie bei keiner andren gegeben, an keiner Stätte zu ruhn, uns hinzugeben, nur keine Hemmungen nicht, Sie dürfen eh gleich wieder loslegen! Da ist er, der Gegenpol zu den Ländlern, den Tänzen Mahlers oder Schuberts, die immer auf unsicherem Boden stattfinden, dauernd bricht einer ein, das Unheimliche bricht durch unsere gefrorene Oberfläche, die Axt haben wir gar nicht gebraucht. Mahler wußte ja wie kein andrer, daß dieser Boden ihn und solche wie ihn nicht tragen würde und nie getragen hat, er hat nie dazugehört, auch Schubert mit seiner fröhlichen Boyband nicht, immer ziehen die irgendwann alleine los, ohne ihn. Wir aber können uns bei Johann Strauß jr. der Musik so richtig hingeben, wie man so sagt, sie schmeißt uns nicht raus, sie zieht uns eben, genau: rein, wir haben gar nichts gemacht, wir sind immer nur reingezogen worden!, aber der Anfang der Einleitung nimmt das Ende, den Nachklang, vorweg, ein Ende, das man bei Mahler mit jeden Schritt, mit jedem Takt die ganze Zeit schon spüren kann. Und dazwischen wir Umsichtigen, die wir uns dauernd umschauen, ob da etwas hinter uns herrennt, das uns vielleicht stören, überfallen oder überholen wird. Aber nein, das wird es schon nicht machen! Es ist ja der Donauwalzer! Stirb gleich, lebe später!, das Ende kommt noch früh genug, weil es ja eh schon stattgefunden hat, bevor es überhaupt richtig losgegangen ist, was das Ende hier ja auch enthält: Es geht nach dem Innehalten, dem letzten Blick auf den Anfang, noch einmal kurz los, es brandet auf, wie man so schön sagt, es braust hoch und dann gehts auch schon ab, wirbelnd in den Abfluß — reiner Zufall, in welche Richtung es sich dreht! —, aus dem wir uns im letzten Moment aber immer retten können, auch wenn das dann wirklich ein Ende ist, aber nur, um erneut anzufangen, einszweidrei, einszweidrei. Bis drei können wir gerade noch zählen, auch wenn wir Tschapperln auch das manchmal geleugnet haben.
Veröffentlicht am 10.12.2024 auf elfriedejelinek.com