DIE KRONE DES ADLERS
Die große Flut hat vielen Menschen, oft solchen, die ohnedies nicht viel hatten, viel genommen. Alles, was im Keller war, mußte als erstes raus, manchmal auch die Dinge aus dem Erdgeschoß, alles raus. Dann kamen Nachbarn, Helfer, Freundinnen, Fremde, und haben die Sachen ins Freie gebracht, als Sperrmüll, wie man so sagt. Die Dinge würden ihr angestammtes Heim nie mehr wiedersehen und die Menschen die Dinge nicht mehr. Diese sollten abgeholt und in die Müllverbrennungsanlage gebracht werden. Doch sie mußten vor ihren ehemaligen lieben, gewohnten Heimen ausharren, Couchbeinchen, Tischbeine, Stühle, alle Viere hilflos in die Luft gestreckt, eine sperrige Erinnerung an das, was einmal war, das alles muß aber noch eine Zeit lang warten, weil auch die Verbrennungsanlage abgesoffen ist.
Jedes einzelne Wort über den selbsternannten Volkskanzler, der das zwar noch nicht ist, sich aber jetzt schon zu seinem Volk aufschwingt, über uns, als Herrscher über den Adler, der nach der Monarchie seinen zweiten Kopf verloren hat, aber uns dafür die Zunge herausstreckt, fehlt mir woanders, und trotzdem sage ich es. Sein Werkzeug hat der Adler schon mitgebracht, um unseren Sperrmüll zu zerkleinern, und die Kette wird man sicher auch wieder löten oder schweißen können. Jedes Wort dieses Mannes, der sich die Mauerkrone des Adlers aufsetzen will, damit er sich über uns erheben kann, im Brustton der Redlichkeit und Normalität (im Sinn des gesunden Volksempfindens, das er so schätzt), jedes Wort also schreit die Leute an, er spricht ja, als wäre er von seiner Überzeugung so überzeugt, daß er sonst niemand mehr überzeugen muß, es genügt, wenn er es weiß, denn wenn er es weiß, dann wissen es alle, er wird schon dafür sorgen. Er schreit, aber im gemütlichen Volkston, als wäre es selbstverständlich, daß nur er selbst versteht, was das Volk braucht. Und auch bekommen wird, wenn er erst die Fremden alle ausgetrieben haben wird und alle von uns, die ihm nicht folgen wollen, gleich mit, indem er seinen glühenden Anhängern, die nicht wissen, zu welchem Koffer sie gehören, so viele Wohltaten erweisen wird, daß sie darunter schmähstad einknicken. Endlich Stille über den Krügeln. Jeder Schaden wird ersetzt werden, und zwar jedem, selbstverständlich, auf die Unsrigen, da schauen wir, da schauen wir zu, bis der Krug vor dem Brunnen zusammenbricht, ohne daß jemand klüger geworden wäre. Er schreit und schreit, die Ursachen für diese Zerstörung leugnet er, es war ja nur Wasser, aber trotzdem müssen die Schäden, und zwar wie gesagt alle, allen ersetzt werden. Wo kommen wir da hin, von wo kommen wir daher? Die Einfamilienhäusler sind begeistert und kaufen sich noch ein drittes Auto. Es wird ihnen ja ersetzt werden, falls die Natur es ihnen wieder nehmen sollte. Wenn die Natur uns was nimmt, werden wir die Schäden ersetzen, auch wenn wir selbst die Schädlinge sind. Und sie werden die Fremden, die ihnen alles nehmen wollen oder schon genommen haben oder noch nehmen werden, rückführen in Länder, wo nichts mehr ist, nicht einmal mehr Sperrmüll. Dort können sie sich dann ausbreiten soviel sie wollen. Wir wollen sie nicht.
Wird sich jetzt das Schweigen ausbreiten? In diesem unaufhörlichen Gerede und Geschrei? Wird das darauf folgende tödliche Schweigen, das ein Fehlen von lauten Verlautbarungen anzeigt, denn reden wird nur noch einer, wird dieses Schweigen die Stille unterbrechen können, die dann herrscht? Stille zu Stille, kein Geräusch gemacht. Werden Versammlungen aufgelöst, Stimmen gestillt, Debatten verklausuliert werden vor den Betonmauern ihrer lang aufgestauten Wut? Werden diejenigen, die dann noch Widerworte wagen, von den dann mächtigen Selbstermächtigten wie von einer Schlammlawine erstickt werden?
Werden Taschen gestopft werden, die gar keine Löcher haben dürfen, damit unten nichts rausfällt? Wird ein EU-Land wie unseres nach dem Muster eines andren, gleich in der Nachbarschaft, immer schön die Hände aufhalten, aber nur für die wenigen, die dann herumstolzieren und krähen wie der Hahn am Mist: mia san mia, selbstermächtigt zu Wort und Sprache, zu jeder Verlautbarung, die ihnen einfällt? Die Statuten Europas erlauben es ja, warum also nicht? Niemand darf herein, aber bedienen Sie sich nur! Jetzt muß ja unter den vielen wenigen, die dann genehm sein werden, aber nicht angenehm, is ja wurscht, ja, genau: alles schön verteilt werden! Es bleibt ja unter uns. Jedem das Seine, es ist verboten, ich mache mich hiermit strafbar, aber sie werden es sagen: Jedem das Seine, uns aber alles. Und wieder stehen die Juden hier, sie stehen still und mahnen, eine siebte Million, von der die Lieder der Sieger singen, werden sie nicht mehr zusammenkriegen, die hat schon ein andrer Herr vorher einkassiert. Und eigentlich sollten da andre stehen und aufpassen. Sonst nimmt der Adler seine Dornen-, nein, seine Mauerkrone ab und schmettert sie uns über den Schädel, bis wir endlich kapiert haben, daß wir gar nicht mehr wir sind.