Im Sprech-Bus
Meine Französischkenntnisse kommen aus früher Kindheit, von den Nonnen des Ordens Notre Dame de Sion. Keine Muttersprache, eine Kindersprache eigentlich, die mir inzwischen leider abhandengekommen ist. Französisch ist gegangen, die französischen Farcen von Feydeau und Labiche sind geblieben und haben mir abverlangt, eine mir verlorene Sprache wieder zurückzuholen. Da mußte ich lange schreiend hinterherrennen. Ungefähr so, wie in diesen genialen Stücken, den direkten Vorläufern der amerikanischen Comedy Capers mit ihrer Slapstick-Komik, die zu einem großen Teil maschinell, durch Filmtricks, zu erzeugen war, während die französischen Komödiendichter das noch allein den begnadeten Körpern der Protagonisten abverlangt haben. Ein Herr, in einer Doppelrolle als Diener, mußte hinter die Bühne rennen, sie queren, auf halber Strecke hat ihm ein fast ebenso genialer Garderobier einen Teil seiner Kleidung heruntergerissen und das, am Rücken mit Stahlklammern zu schließende Gilet eines Kammerdieners buchstäblich an den Leib geworfen, geclippt, und schon konnte der Eine als der Andre, der aber wiederum der Eine war, auf der andren Seite wieder auftreten, als ein Anderer. Hoffentlich hat er nicht zu sehr geschnauft, was aber für einen Diener recht glaubhaft gewesen wäre.
Mir wird klar, daß das auch viel mit meinem eigenen theatralen Verfahren zu tun hat, wo es überhaupt egal ist, wer der eine und wer der andre ist, sie sind Sprache, die sich selbst entlarvt und in irgendwelche Personen hineinschmeißt, wie der Herr ins Gilet seines Knechtes und umgekehrt. Manchmal wird einem auf der Bühne die Sprache auch nachgeworfen, in der Hoffnung, etwas zu treffen, nicht aber um Gottes willen den Darsteller, der ja noch weitermachen soll.
Diese Beschäftigung mit Komik, mit Pointen, die nicht nur in der Darstellung auf der Bühne liegt, sondern in einer Sprache, die, gerade weil immer irgendjemand hinter einem andren herrennt, der seine Sprache womöglich vergessen haben könnte, oder weil ein andrer, was bei der derzeitigen political correctness beinahe undenkbar ist, aus einem Wasserglas trinkt, in dem davor die silberne Gaumenprothese eines Menschen geschwommen ist, der an einer offenen Gaumenspalte leidet, die, wenn der arme Mann seine Verschlußkappe für das Sprechwerkzeug, den Mund, den Gaumen nicht findet, zu unglaublich komischen sprachlichen Verrenkungen und Mißverständnissen führen muß, sodaß, wieder auf ganz andre Weise, die Sprache in ihrer unfreiwilligen Verzerrtheit und Verbogenheit, die wieder ganz andre Wörter produziert als jene, die eigentlich gesagt werden sollen, aua!, so, jetzt ist es passiert: Bei "eigentlich" bin ich leider ausgestiegen aus dem Sprech-Bus, macht ja nichts, ich muß das ja nicht auf einer Bühne deklamieren, also, was wollte ich sagen, das ich nicht sagen konnte (ich wollte hier auch die Schrecken des Theaters kurz aufrufen, wenn einer auf der Bühne steht, etwas sagen muß, aber den Text vergessen hat)? Ich wollte ungefähr sagen: Mißverständnisse entstehen aus einer Krankheit des Mundes, und sie sind dann aber das Eigentliche, auf das es ankommt. Eine Sprache, die eine andre ist, als sie sein soll, spricht für sich, aber nicht in Glossolalie, sondern in einer Verdrehung, Beugung des Gemeinten, das vielleicht gar nicht so gemeint war, und damit wird die Sache brüchig. Sie wird brüchig für mich, die ich diese französische Sprache nicht mehr beherrsche und aus Bruchstücken, Fetzen, Erinnerungen aus der Kindheit neu konstruieren muß, um sie in meine eigene Sprache zu verwandeln, und brüchig ist sie auch in der Originalsprache, bei der genausowenig das sogenannte Richtige aus dem Mund eines Gaumenlosen hervorkommt. Es quillt also etwas heraus, das die Sprache und ihre Begriffe als Medium der Mitteilung sofort wieder anarchisch unterläuft. Keine Unterredung, keine Verabredung mehr (man würde sich schon bezüglich Datums und Uhrzeit nicht einig werden können, Verschiebungen wären ein unlösbares Problem), keine Verständigung mehr möglich. Was sagt der deutscheste der deutschen Philosophen dazu? Er sagt: "Sprache befördert das Offenbare und Verdeckte als so Gemeintes nicht nur erst in Wörtern und Sätzen weiter, sondern die Sprache bringt das Seiende als ein Seiendes allererst ins Offene". Und wäre das nur eine Theaterbühne, es wäre schon alles, was die Sprache halt auch brauchen kann (sie kann ja alles verwerten!), und was neben uns auf der Welt existiert. Und das ist schon alles, weil alles andre auch alles sein kann, nur anders. Wo keine Sprache ist, egal, wem sie gehört, da ist keine Offenheit des Seienden — ich sage hier einmal des Auftretenden — und daher auch keine Offenheit des Nichtseienden, das dann eben nicht sein kann, das Leere kann es aber auch nicht. Das kanns doch nicht sein! Es kann nicht sein, weil alles schon ausgesprochen worden ist. Kommen Sie morgen wieder, da wird auch irgendwas, hier oder woanders, gesagt werden. Seien Sie dabei oder nicht: Es wird gesagt werden, lassen Sie sich das gesagt sein!
Das einzige, das ich jetzt noch sagen kann, ist: Ich bedanke mich herzlich für diese große Ehre!
Anläßlich der Verleihung des Rangs Commandeur de l'Ordre des Arts et des Lettres am 14.4.2024