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2023

Kein Einer und kein Andrer mehr

(English translation below)

Ja, Ernst Jandl: Humanitääääät, die könnten wir schon ein bisserl brauchen. Seit dem Überfall der Hamas weiß ich nicht mehr, was das sein soll. Sie wird zu einem Stück Papier, auf dem vieles Gute und Schöne aufgeschrieben und dann angezündet wurde. Asche wird dann, wie vielleicht bei der Scheidung Arthur Schnitzlers von seiner Frau Olga vor einem Münchner Rabbinatsgericht, über den Häuptern der Beteiligten zerrieben. Sie regnet auf die jetzt für immer Geschiedenen nieder. Ein Ascheregen, das ist diese Humanität, wenn der Wunsch, zu leben und für und um dieses Leben zu sorgen, von etwas abhängt, das nicht im Leben selbst begründet ist, sondern in einer paradoxen Abhängigkeit vom Dasein andrer, aber als Herrschaft in dieser Abhängigkeit, denn um zu töten, müssen ja andere da sein, über die man siegen kann. Das Leben ein Mangel, der gefüllt werden will, und dann bestimmen nicht einmal mehr Bedürfnisse dieses Leben. Dann ist es ein Mangel, daß man einfach dahinleben soll, ohne andre, die man Feinde nennt, endlich umzubringen. Diesem Mangel können wir abhelfen, mit Waffen natürlich. Wenn Fanatiker wüten, denen das Leben gar nichts gilt, und der Tod etwas Erstrebenswertes ist, durch das man Märtyrer werden und sich zu den Jungfrauen begeben darf, dann gibt es keine Übereinkünfte mehr darüber, wovon Leben abhängt und was es braucht, um sich zu erhalten. Man hat das Leben erhalten, aber jetzt soll man es selbst erhalten? Werfen wir es doch weg, dann wird es viel schöner und lustiger werden, wie Knallfrösche, die man zu Silvester auf die Straßen schmeißt, auf die das keinen Eindruck macht, sie liegen weiter da, grau und glatt. Da begeben wir uns doch lieber auf irgendwelche Spiel- und Sportfahrzeuge (Flugdrachen! Motorräder mit was drauf, Pickups mit noch mehr drauf, als ginge es zu einem Treffen von Funsportlern) und schießen los, dann trinken wir noch was garantiert Nichtalkoholisches, schießen noch ein paarmal, und dann nehmen wir unsre blutige Beute mit nach Hause, vielleicht wie bei einem Homerun im Baseball, in fröhliche Alltäglichkeit, eine Freizeitaktivität, zu der man lässig über Zäune springt, denn Töten und Sterben, das sie nicht fürchten, sondern ersehnen, sind dann endgültig Sport geworden, wenn schon Sport nicht Mord sein kann. Das christliche: Tod, wo ist dein Sieg?, Tod, wo ist dein Stachel!, so steht es im Ersten Korintherbrief, hier wird es beantwortet, aber nicht von Christen. Tod als Gegensatz von Begehren. Bei den einen ist er Schrecken, Verlust von lieben Menschen oder Angehörigen, ein Ausgezehrtwerden von allem, was einem was wert war, bei den andren ist dieser Tod gloriose Fülle, Belohnung, Befriedigung, glückliche Abhängigkeit von nichts als der letzten Kugel und aller andren Kugeln auch. Diese Mannschaft gewinnt immer, weil sie nur gewinnen kann, denn der Tod kommt am Ende sowieso. Dann kann er gern auch früher kommen, wir müssen nicht unbedingt über die volle Distanz gehen. Wenn man tötet oder wenn man stirbt, das ist hier gleichzusetzen, dann kann man die Leere mit sich selbst auffüllen, den saugenden Mangel beheben und mit dem eigenen Tod füllen, den man gesucht und gewünscht hat, zur eigenen Verewigung, zur eigenen Apotheose. Das ist jetzt der Stachel, wir töten und wir sterben, das ist unsere Freude. Wir sind die Champions.

 

Im Grunde kann man nur um diese Leerstelle des Unaussprechlichen herumschreiben. Der Dreißigjährige Krieg, der Europa beinahe entvölkerte, begann mit klaren Fronten, als Religionskrieg und mit einem Fenstersturz (plus weicher Landung auf einem Misthaufen) in Prag, bis am Ende nur noch Marodeure durch das wüste Land zogen. Die Bevölkerung wurde von den Kriegsherrn ausgepreßt, und als nichts mehr drin war, hat man sich ihrer entledigt, soweit möglich. Noch weiter hätte den Herren noch besser gefallen. Dann hatte man weniger Arbeit beim Töten. Bitte um Entschuldigung an die Historiker. So kann man es wirklich nicht sagen. Der Vergleich hinkt wie Mutter Courage mit ihrem Karren, der im Dreck steckengeblieben ist. Aber was kann man so sagen oder nicht so, und was anders und was gar nicht? Das Große blieb groß nicht und klein nicht das Kleine, mein Lieblingszitat aus dem Lied von der Moldau (Brecht), und es blieb kein Stein auf dem andern, und die meisten Menschen waren am Ende nicht mehr da. Die nicht mehr Geborenen und die Geborenen reichen einander auch heute nicht mehr die Hand. Die Kette ist mit Bolzen- oder Seitenschneidern, die beide Seiten unwiderruflich trennen, zerschnitten worden. Das Abschlachten selbst in diesem Krieg des 17. Jahrhunderts kannte immer wieder noch Fronten, Abmachungen (selbst wenn sich niemand dran hält, gibt es noch immer Abmachungen, das ist doch beruhigend!), hart trainierte Söldnerheere, neue Kampftaktiken, aber es gab Vereinbarungen, immerhin. Sterben mußten und müssen sie auch jetzt wieder, auf allen Seiten, überall. In den kleinsten Ländern. Sterben geht immer, auch wenn gar kein Platz dafür ist.

 

Wenn es aber nur noch ein Ziel gibt, für das die Vernichtung des Anderen steht, wie die Terrororganisation Hamas sie gegen Israel plant und immer geplant hat — und andre Gedanken haben neben diesem Ziel keinen Platz in ihren Köpfen —, dann gibt es auch den Einen nicht mehr. Und wenn es den Einen wie den Anderen nicht mehr gibt, so ist die Zivilisation am Ende. Es ist ein Bruch von allem, was noch verhandelt werden kann. Das Selbe und das Andere können nicht in einer Erkenntnis, die sie umfaßt, zusammentreten, schreibt der jüdische Philosoph Emmanuel Lévinas. Und weiter: "Die Beziehungen, die das getrennte Seiende mit dem unterhält, das über es hinausgeht, ereignen sich nicht vor dem Hintergrund der Totalität, sie schießen zu keinem System zusammen. Aber nennen wir sie nicht zusammen?"

 

Kein Zusammen mehr. Jetzt wird nur noch geschossen. Und wie die Nazis beim Einmarsch in Polen, so sagt die Hamas zu ihrem Schießen, Massakrieren, Vergewaltigen, Foltern, sie sagt, es werde (natürlich pünktlich) zurückgeschossen auf etwas, das (noch) gar nicht geschossen hat. Dieses Andere, das jetzt unwiderruflich, da man nie etwas andres als seine Zerstörung im Sinn hatte, dieses Andre also, das eigentlich sagen will, es bestehe irgendeine mitmenschliche Nachbarschaft zwischen dem Angreifer in seiner Vernichtungswut und dem Angegriffenen, der diese Vernichtungswut gegenüber dem Einen, dem Angreifer, eben nicht hat (das ist eben der fundamentale Unterschied zwischen den beiden), diese bedingungslose Zerstörungwut einer Terrorbande gegen einen, den einzigen demokratischen Staat in der Region, löscht nicht diesen angegriffenen Staat, sondern vielmehr seine Angreifer aus. Die Hamas hat sich mit diesem Verbrechen ein für allemal selbst zerstört. Die Geiselnahme auch der unschuldigen Palästinenser auf ihrem überfüllten Landstreifen, für deren Befreiung (auf Kosten der Zerstörung eines ganzen Landes) die Terroristen zu kämpfen behaupten, nimmt ihnen alles, was sie jemals erreichen könnten. Je mehr sie die Rechtmäßigkeit und Rechtschaffenheit ihres Tuns unter Geschrei und Beschimpfungen bekräftigen, überall, auch hier, vor der Wiener Stephanskirche (ja, da denkt man unwillkürlich wirklich an den Dreißigjährigen Krieg), unter sekundierenden Rufen österreichischer Püppis, deren Kinderzimmer die Mama vielleicht noch aufräumt oder jugendlicher Fußballfans, die ansonsten grölend gegen was andres ins Feld ziehen, ein Feld gibt es ja immer, einen Gegner auch, was wollte ich sagen, ja, wo hat es angefangen, es hat immer schon angefangen, diesen Satz jedoch kann ich hoffentlich noch dingfest machen: Je mehr sie also das Gerechte ihres Ziels herausschreien, aus der Totalität in die Totalität, diese quasi staatsterroristische Mordlust an diesen unschuldigen, meist jungen, tanzenden und feiernden Menschen (Staatsterrorismus? Kein dazugehöriger Staat in Sicht!, aus solchen Taten entsteht kein Staat, niemals!), desto mehr Leere entsteht, ein saugendes Vakuum, und desto schneller verfallen auch alle Bemühungen zur Aufnahmsprüfung in die Zivilisation. Die Hamas gehört ihr nicht an. Durchgefallen, bevor die Prüfung noch stattgefunden hat. Eine Terrororganisation ist keine Angehörige der menschlichen Zivilisation. Sie hat sich selbst ausgeschlossen. Es gibt nicht mehr dieses Lévinas'sche "von vorne" und "Von Angesicht-zu-Angesicht", ein Empfang, den das Ich dem Anderen bereitet, wie der Philosoph sagt. Man kann den Anderen und den Einen mit einem schlichten 'und' verbinden, aber keine Religion, keine Ideologie macht aus den beiden ein Gegenüber. Der Bogen der Religion ist gespannt, der Pfeil kann jederzeit fliegen, er trifft immer. Aber Religion ist nicht einmal ein Kitt, ja nicht einmal eine Trennmauer. Religion ist ein Phantom, das, wie Wolken, jede Formation annehmen kann. Aber schießen können Wolken nicht, sie sind das, was übrigbleibt, Rauch, Staub, Schutt. Religion ist jetzt nicht einmal ein Trennendes, und ein Verbindendes natürlich noch weniger. Jetzt ist jedes Gegenüber verfallen zu Asche, die zwischen den beiden Händen eines Gottes, den es nicht gibt, und wenn man sich noch so oft auf ihn beruft (man beruft sich am liebsten auf ihn, wenn man den Anderen nichts als zerstören will), zerrieben wird, Asche, über uns alle ausgestreut, bis der Wind sie verbläst. Über unsere Köpfe hinweg. Wir sehen nur, wie der schwarze Rauch davongeweht wird und der Schrecken übrigbleibt.

  

siehe auch: Emmanuel Lévinas "Totalität und Unendlichkeit"

No More One or the Other

Translated by Gitta Honegger

Yes, Ernst Jandl: Humanityyyyyy, we certainly could use a little bit of it. Since the attack of Hamas, I no longer know what this is supposed to be. It becomes a piece of paper on which many beautiful things have been written and then set on fire. And then the ashes, as perhaps in the case of Arthur Schnitzler’s divorce from his wife Olga before a Munich Rabbinic Court, the ashes were ground above the heads of the participants. Now it rains forever on the heads of the [de]parted. An ash rain––that is humanity for you, when the wish to live and to care about and take care of this life depends on something that is not founded on life itself, but on a paradoxical dependence on the existence of others, however, as dominance in this dependence, since, in order to kill, others must be there, who can be defeated. Life a lack that wants to be filled. And then it is not even real lack which determine this life. This lack then consists of having to drift along, without finally killing others, called enemies. This sort of lack we can remedy, with weapons, of course. When fanatics rage, to whom life means nothing and death is something to aspire to, that makes you a martyr, allowed to repair to the virgins, then there are no more agreements about what life depends on and what it needs to maintain itself. So life was given to you, but now it is supposed to take care of it on its own? Why not just take it and throw it away, it will be much nicer and much more fun, like jumping jacks you throw on streets, where they leave no impression, the streets continue just lying there, gray and smooth. Well, then we rather move on to some kind of fun and sports vehicles (hang gliders!, motor cycles with stuff on them, pick-ups with still more on them, as if it were all about a gathering of fun athletes, and now let’s start shooting, and then we drink something guaranteed non-alcoholic, shoot a few more rounds  and then we take our bloody booty home with us, maybe like a homerun in baseball, into cheerful everydayness, a leisure activity that gets you to casually jump over fences, because killing and dying which they don’t fear but desire, have become sports once and for all, if sports can’t be murder. The Christian: Oh death, where is your victory, oh death where is your sting, that’s what it says in 1 Corinthians, here it is answered, but not by Christians. Death as the opposite of desire. For the ones it is terror, loss of dear people or relatives, a draining  of everything cherished; for the others this death is glorious fullness, reward, satisfaction, happy dependence on nothing but the final bullet and all other bullets, too. This team always wins, because in the end death comes anyway. So let it come sooner, we don’t have to always go the full distance. If you kill or if you die–this must be equated here, you can fill the emptiness with yourself, rectify the sucking lack and fill it with your own death, for which you were looking and longing, to your own eternalization, your own apotheosis. This is the sting now, we kill and we die, This is our joy. We are the champions.

Basically, all one can do is write around this blank of the unspeakable. The Thirty Years’ war that almost depopulated Europe started with clearly drawn lines, a religious war and a defenestration [plus a soft landing on a dung heap] in Prague until, in the end only marauders roamed across the devastated lands. The population was squeezed dry and gotten rid of by the warlords, as far as possible. Farther would have been preferred by the lords. Then killing would be less work. I beg your pardon, historians, the comparison limps, as they say in the poet’s mother togue, like Mother Courage and her cart that got stuck in the mud. But what can one say but not this way, so then what other way or not at all? The great did not stay great and small not the small, my favorite line in the song of the Moldau (Brecht), and not one stone will be left on another, and most people were gone in the end. Those not born anymore and those born, no longer extend their hands to each other to this day. The chain has been cut apart with bolts and side-cutting pliers that separate sides irrevocably. The slaughtering, even in this 17th century war still knew the battle lines, agreements (even if no one keeps to them, there still are agreements, isn’t that reassuring), rigorously trained mercenary armies, new combat tactics, but there were agreements, that’s at least something. Now they still have to die again, on all sides, everywhere. In the smallest countries. Dying always works, even when there is no place for it.

But if there is only one goal that is the annihilation of the other as planned by the terror organization Hamas and it has always been planned––and there is no place in their heads for any other thoughts but this one, then the one no longer exists either.  And if there is neither the one or the other, then civilization is at its end. It is a breach of everything that can still be negotiated. The same and the other cannot enter into a cognition that encompasses both,” writes the Jewish philosopher Emmanuel Lévinas. And furthermore: “The relations that the separated being maintains with what transcends it, are not produced on the ground of totality, do not crystallize into a system. Yet do we not name them together?”

No more together. Now it’s just shooting. And as the Nazis said about their invasion of Poland, Hamas say about their shooting, massacring, raping, torturing, they say, they are shooting back (and, of course, promptly) at something, that hasn’t even shot yet (at least not at that time). This other which has now irrevocably, since one never had anything else on one’s mind, this other then, who actually wants to say that there exists some sort of fellow human relationship between the attacker in his destructive rage and the attacked who does not have this destructive rage against that other one (and this is the fundamental difference between the two) this unconditional destructive rage of a terror gang against an Other–the only democratic state in the region does not annihilate this attacked state, but its attackers. With this crime, Hamas has destroyed itself once and for all. The hostage taking, also of the innocent Palestinians in their overcrowded strip of land, whom the terrorists claim to liberate (at the expense of the destruction of an entire country), takes everything away from them they could have ever attained. The more they affirm the legitimacy and righteousness of their actions, screaming and hurling insult everywhere, here, too, in Vienna, in front of St. Stephen’s Cathedral (yes, it makes you think right away of the thirty years’ war) backed up by the shouts of Austrian dollies, whose mommies might still be cleaning up their nurseries, or by young soccer fans who otherwise march and holler against something else, there are always grounds for marching, as well as opponents,  what did I want to say, oh, yes, where did it start it has always started already, that’s a line I hope I still can nail: So then, the more they yell out the legality of their goal, out of totality into totality, this quasi State-terroristic pleasure of murdering these innocent, mostly dancing and celebrating people (State-terrorism? No corresponding state in sight!, no state emerges from such deeds, never ever) all the more emptiness emerges, a sucking vacuum and all the more quickly all efforts for the entrance exams to civilization expire. Hamas does not belong to it. Failed, even before the exam took place. A terrorist organization is not a member of civilization. Lévinas’ de novo and face to face, the I’s reception from the other, according to the philosopher. You can connect the other and the one with a simple “and”, but no religion, no ideology makes a face to face of both. The bow of religion is drawn, the arrow can fly any time, it always hits the target. But religion is not even cement, no, not even a partition wall. Religion is a phantom which, like clouds, can take on any formation. But clouds cannot shoot, They are what is left, smoke, dust, rubble. Religion now is not even something that separates, and even less something connective, of course. Now anyone opposite you has deteriorated into ash which has been ground between both hands of a god who does not exist, refer to him as much as you like (he is referred to most intensely, if you want nothing but destroy the other, ash, scattered over all of us, until the wind blows it apart. Blowing away above our heads. We only see the black smoke getting blown away and horror is all that is left.

 

Also see: Emmanuel Lévinas: Totality and Infinity.